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SCHWERPUNKT PRÄZISIONSONKOLOGIE


                                PD Dr. med. Dr. phil. Benjamin Kasenda
                                Director Research & Development bei iOMEDICO
                                Oberarzt in der Medizinischen Onkologie am
                                Universitätsspital Basel
                                Leiter von mehreren multizentrischen Forschungs-
                                projekten im Bereich der Onkologie, Epidemio-
                                logie und Forschungsmethodik



                                                             Hier ist allerdings zu bedenken, dass diese Studie vor
                                                             mehr als sechs Jahren durchgeführt wurde und die dia-
          Der zweite Schritt der Entwicklung geht weiter: Tumore   gnostischen und therapeutischen Möglichkeiten sich
          sollen unabhängig von ihrer Histologie oder ihres Ent-  seitdem dramatisch weiterentwickelt haben. Im Artikel
          stehungsorts basierend auf ihren molekularen Markern   «Präzisionsonkologie zugänglich machen» erfahren Sie
          klassifiziert und therapiert werden.               mehr über ein bundesweites Projekt genau zu Frage-
                                                             stellungen rund um das Thema Testung und gezielter
          Hintergrund ist die Überlegung, dass es zwischen ver-  Therapien: Warum wird eigentlich getestet? Welche
          schiedensten Tumoren gemeinsame genetische Verände-  therapeutischen Konsequenzen hat die Testung und wie
          rungen gibt, die u.a. für das Tumorwachstum verantwort-  ist das Outcome der zielgerichteten Therapie?
          lich sind. Medikamente, die diese Veränderungen zum
          Ziel haben, können dann unabhängig von der Histolo-        Für die Betreuung unserer Patienten ist
          gie und entitätsübergreifend ihre Effektivität entfalten.   Vertrauen in die angewandte Diagnostik und
          Beispiele dafür sind z.B. Pembrolizumab (mikrosatel-   Verfügbarkeit von klinischer Evidenz für die
          liten instabile Tumore (MSI-high)) oder Larotrectinib         Therapieentscheidung fundamental.
          (TRK-Fusion positive Tumore), die beide entitätsüber-
          greifend von der FDA zugelassen wurden. Vor allem   Dieses Prinzip gilt auch in der Ära der neuen Biotech-
          Larotrectinib zeigte eine beeindruckende Ansprech-  nologien und modernen Medikamente. Die Herausfor-
          rate von 80 % in dieser doch sehr seltenen Gruppe von   derungen sind zum einen, dass die nötigen Tests valide
                                                             und auch schnell verfügbar sind. Des Weiteren bedarf
          TRK-Fusion positiven Tumoren (Inzidenz unter 1 %).
                                                             es heute mehr denn je einer dichteren und weiteren
                  Dieser entitätsübergreifende Ansatz ist    Vernetzung von Studienzentren und vor allem das Ein-
                  hochspannend und vielversprechend –        bringen von Patienten in Studien. Eine moderne digitale
              aber kann er schon das halten, was wir uns     Infrastruktur für Vernetzung, Datenmanagement und
                                                             Analysen ist ebenfalls ein wichtiger Bestandteil. Nur so
                                                erhoffen?    können wir lernen, wo die tatsächlichen Möglichkeiten

          Können Patienten mit Hilfe dieser neuen Biotechnolo-  und aktuellen Grenzen der entitätsübergreifenden The-
          gien entitätsübergreifend tatsächlich so klar identifi-  rapieansätze sind. Oder anders ausgedrückt, die stei-
          ziert werden, dass wir gezielter behandeln können und   gende  Komplexität  der  Diagnostik  und  Klassifizierung
          die  Prognose  deutlich  verbessern?  Die  Antwort  muss   von Tumoren bedarf gleichzeitig einer deutlichen Ver-
          aktuell noch lauten: Wir haben einige eindrücklicher   stärkung der klinischen Forschungsaktivitäten in allen
          Beispiele (z.B. Larotrectinib), aber wirklich wissen tun   Bereichen, um ausreichend Evidenz für unsere zukünfti-
          wir es noch nicht. Die oben genannten Beispiele basie-  gen Therapieentscheidungen zu generieren.
          ren auf nicht-randomisierten Studien mit relativ weni-
          gen Patienten.

          Bis dato gab es eine randomisierte Studie, die getestet
          hat, ob bei Patienten mit metastasierten und vorbehan-
          delten Tumoren ein Therapieansatz basierend auf dem
          molekularen Profil des Tumors einer klassischen Che-  Die Erwartungshaltungen an die biotechnolo-
          motherapie überlegen ist (SHIVA Studie).
                                                             gischen Entwicklungen in der Onkologie sind
          Diese Studie kam zu dem Ergebnis, dass der «personali-  hoch. Wenn es gelingt, diese neuen Errungen-
          sierte» Ansatz bezüglich des progressionsfreien Überle-  schaften mit einem aktiven und dichten Stu-
          bens nicht besser ist als die klassische Chemotherapie.
                                                             diennetz zu verknüpfen, dann bestehen sehr
                                                             gute Chancen, diese neuen Ansätze unseren
                                                             Patienten zukommen zu lassen.




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