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ONKOLOGISCHES QUARTETT
Was erwarten Was könnte Was wünschen Sie
Sie sich davon? man verbessern? sich für die Zukunft?
Der Pathologe Die Pharma-Sicht
Prof. h.c. Dr. Markus Tiemann Dr. Martin H. Hager
Geschäftsführer und Pathologe der Medizinischer Leiter
Hämatopathologie Hamburg Personalisierte Medizin (PHC)
Medical Affairs
Roche Pharma AG
Als Pathologe erwartet man von einem molekularen Die stetig steigende Komplexität von Diagnose und
Tumorboard die Einordnung molekularpathologischer Behandlung onkologischer Erkrankungen macht es lang-
Befunde in einen klinischen Kontext mit entsprechenden fristig unumgänglich, erweiterte interdisziplinäre Exper-
therapeutischen Entscheidungen. Als Pathologe lernt tengremien mit der Identifikation geeigneter Therapiere-
man dann, die Konsequenzen von scheinbar marginalen gime zu betrauen. Wir sehen bereits in ersten Zügen die
Befunden zu verstehen und auch die klinischen Entschei- Entstehung molekularer Tumorboards an Spitzenzentren,
dungen betreffs einer innovativen oder vielleicht nicht so die eine umfassende klinische Entscheidungsfindung für
innovativen Therapie bezüglich des Nebenwirkungsspek- die Behandlung von Krebspatienten ermöglichen sollen.
trums besser zu verstehen. Der langfristige Auftrag ist klar: MTBs sollen das Bindeglied
sein zwischen neuen komplexen Technologien und dem Kli-
In der Zukunft sollten sicherlich die Veränderungen nikalltag und so Innovationen im Bereich der genomischen
der digitalisierten Pathologie und auch die Anwendung Tumoranalyse zeitnah in die Klinik überführen.
maschinellen Lernens in der molekularen Analytik noch
besser integriert werden. Ebenso sollten bereits verfüg- Ungeklärt jedoch bleibt die Frage, wie sich nieder-
bare oder in Zukunft noch entstehende Datenbanken mit gelassene Fachärzte und regionale Kliniken posi-
aktuellen Therapiestudien für Patientengruppen mit sel- tionieren sollen, die nicht alle Fachdisziplinen vorhalten
tenen Treibermutationen oder seltenen Konstellationen können und keinen Zugang zu MTBs haben. Diese werden
verschiedener Mutationen integriert werden. zunehmend weniger in der Lage sein zu entscheiden, wie
die optimale Therapie für ihre Patienten aussehen soll.
In der Zukunft könnten regelmäßig stattfindende, institu- Hier müssen Innovationen unterstützt werden, die auch
tionalisierte Tumorboards auf eigene Datenbanken unab- abseits der Spitzenzentren eine medizinische Entschei-
hängiger Institutionen zurückgreifen und solche Informa- dungsfindung für eine optimale Therapie erleichtern. Sol-
tionen online in der laufenden Konferenz einschließen. che „Clinical Decision Support“ Technologien sind bereits
Auch die Integration von immunhistochemischen Prä- heute in der Lage, komplexe Diagnostik, interdisziplinäre
paraten sowie mit künstlicher Intelligenz/maschinellem Beratung und individuelle Therapieempfehlungen kontrol-
Lernen aufgearbeiteten Präparaten in die Dokumenta- liert und qualitätsgesichert zu erbringen. Darüber hinaus
tion der Patientenakte wäre sinnvoll. Die Verknüpfung müssen die in den MTBs eruierten Therapieempfehlungen
der bildgebenden Daten mit den abstrakten Labordaten unbedingt strukturiert nachverfolgt werden. Für eine wis-
sollte ebenfalls weiterentwickelt werden. Auch die Integ- sensgenerierende Versorgung ist die Dokumentation und
ration und Interpretation molekularer Daten mit Hilfe von Auswertung von klinischen Verläufen – gerade im zulas-
AI-Systemen und deren Verarbeitung im Rahmen des kli- sungsüberschreitenden Einsatz von Arzneimitteln – unab-
nischen Kontextes eines solchen Boards wäre eine wirk- dingbar. Nur so können wir sicherstellen, dass wir von
lich neue Dimension. jedem einzelnen im MTB besprochenen Patienten lernen.
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