Page 8 - VISION 6 Sonderausgabe OnkoRat
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PRÄZISIONSONKOLOGIE & REAL WORLD DATA





            Laut Prof. Philipp Jost, Leiter des Zentrums für Perso-
            nalisierte Onkologie am Comprehensive Cancer Center   „Die überwiegende Anzahl von
            München der Technischen Universität München (TUM)   Patienten mit seltenen Tumoren
            und dem zugehörigen molekularen Tumorboard, sind
            durchaus Unterschiede in der klinischen Annotation   werden außerhalb akademi-
            kommerzieller Analysen zu sehen. An der TUM wird die   scher Zentren versorgt“
            bedeutsame Aufgabe der klinischen Annotation von den
            jeweiligen  Organspezialisten  im  molekularen  Tumor-
            board  interdisziplinär  durchgeführt  und  besprochen.
            Im Falle von seltenen Tumoren wird zwischen medizi-  Außerhalb der akademischen Zentren gestaltet sich ein
            nischen Onkologen und den beteiligten Fachdisziplinen   solcher Ansatz oft weit schwieriger. Einige Kollegen
            der bestmögliche Therapieansatz definiert. Zwar wür-  scheuen den Aufwand dieses oft langwierigen Vorge-
            den sich viele Kollegen zutrauen, eine therapeutische   hens mangels Zeit und/oder Expertise. Andere Kolle-
            Konsequenz z.B. aus einer BRAF-V600E Mutation, einer   gen bemühen sich, Präzisionsonkologie in Eigenregie
            MET-Amplifikation oder einer hohen Tumormutations-  als One-Man-Show durchzuführen. Die Limitationen
            last zu ziehen. Was aber, wenn es sich beispielsweise   dieses Vorgehens liegen auf der Hand. Diese Bestands-
            um eine seltene  BRAF-Mutation mit unklarer patho-  aufnahme ist insofern von großer Bedeutung, da die
            genetischer Wertigkeit handelt? Oder eine der vielen   überwiegende Anzahl von Patienten mit selten Tumo-
            verschiedenen  PIK3CA Mutationen oder Amplifikation   ren außerhalb akademischer Zentren versorgt werden.
            vorliegen? Macht es Sinn, nicht das Molekül selbst,
            sondern ein stromabwärts gelegenes Partnerprotein zu   Noch sind präzisionsonkologische Ansätze
                                                                nicht für alle Patienten verfügbar:
            inhibieren?

            Hoher Aufwand für evidenzbasierte
            Therapieentscheidungen


            Bei vielen Alterationen ist es erforderlich, eine aufwen-
            dige Recherche zu betreiben, um eine mögliche thera-
            peutische Wertigkeit abschätzen zu können. Es werden
            dabei wissenschaftliche Datenbanken wie OnkoKB,
            CIViC und cBioPortal herangezogen, aber auch eine
            ausführliche Literaturrecherche über PubMed ist Teil
            der Annotation der genetischen Alterationen. Erst vor
            diesem Hintergrund kann im Rahmen eines interdiszi-
            plinären  molekularen  Tumorboards  eine  Empfehlung
            mit dem entsprechenden Evidenzlevel ausgesprochen
            werden. In der Regel können die Empfehlungen direkt
            für einen Antrag auf Kostenübernahme bei der Kran-
            kenkasse herangezogen werden. Denn trotz aufwendi-
            ger genetischer und klinischer Analyse der Daten, liegt
            die formale Evidenz der Entscheidungen unter dem
            üblicherweise verwendeten klinischen Evidenzlevel der                               Molekulare
            Onkologie. Dies liegt an der Seltenheit der individuel-                             Diagnose
            len Veränderungen und dem Fehlen von randomisierten
            Studien.




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                                                                                                Tumorboard





                                                                                                Molekular-basierte,
                                                                                                zielgerichtete Therapie


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