Page 11 - VISION 6 Sonderausgabe OnkoRat
P. 11

PRÄZISIONSONKOLOGIE & REAL WORLD DATA


                                                                                   Prof. Dr. med. Achim Wöckel
                                                                                   Direktor der Frauenklinik des
                                                                                   Universitätsklinikums Würzburg
                                                                                   Koordinator der S3-Leitlinie
                                                                                   „Interdisziplinäre Früherkennung,
          Institutionen ist zudem begrenzt. An dieser Stelle ist                   Diagnostik, Therapie und Nachsorge
          der Einsatz methodisch belastbarer Kohortenstudien                       des Mammakarzinoms“, Mitglied
                                                                                   der AGO Kommission Mamma
          gefragt. RWD können an dieser Stelle unterstützen Evi-
          denzlücken zu schließen, wenn die Datenqualität hoch
          ist. Unter Berücksichtigung der notwendigen Transpa-
          renz können in Konsensusprozessen Empfehlungen für
          klinische Leitlinien abgeleitet werden, die sich zwar in
          der Empfehlungsstärke gegenüber zugrunde liegender
          RCTs unterscheiden, aber klinisch hochrelevant sind
          (siehe Abbildung 1).


          Evaluation und Überprüfung von
          Leitlinien durch RWD                               An diesem Beispiel wird deutlich, dass die Evaluation

                                                             von Leitlinienempfehlungen und die Überprüfung von
          Auf der anderen Seite sollten die Ergebnisse bzw.   Implementierungsstrategien ebenfalls nur an quali-
          Effekte aus eingebrachten Studien durch eine konse-  tativ hochwertigen RWD-Kohorten erfolgen kann. Die-
          quente Anwendung der Leitlinien auch in der Versor-  ser Abgleich mit der Versorgungsrealität ist auch zur
          gungsroutine darstellbar sein. In einzelnen Studien ist   genaueren Effektschätzung wichtig: RCTs, die gewöhn-
          dieser Umkehrschluss nachvollziehbar gelungen. So   lich als Grundlage starker Leitlinienempfehlungen die-
          konnte das BRENDA-Studiennetzwerk an einem Kol-    nen, zeigen häufig hohe Effekte für bestimmte Interven-
          lektiv  von  13.000 Patientinnen  mit  einem  primären   tionen im abstrakten Studiensetting. Nach Anwendung
          Mammakarzinom beispielhaft zeigen, dass eine leitli-  dieser Interventionen liegen die  Effekte in  den RWD
          nienkonforme Therapie im Versorgungsalltag ähnliche   jedoch nicht zwingend in diesen Bereichen. Gründe für
          Studienergebnisse bzw. Effekte reproduziert wie in den   diese Modifikation von Effekten liegen in Unterschieden
          RCTs, die der Leitlinie zugrunde liegen, und dass letzt-  zwischen klassischen Studienpatienten von RCTs und
          lich die Anwendung der Leitlinie in zertifizierten Brust-  bspw. einem häufig höheren Anteil älterer und komor-
          zentren zu einer Verbesserung des Überlebens führt.   bider Patienten im Versorgungsalltag.
                                                                                                             →


                                    Strukturierte Konsensfindung:
                                   Von der Evidenz zur Empfehlung

             QUALITÄT DER EVIDENZ                                   EMPFEHLUNGSGRAD




                    HOCH                                            STARKE EMPFEHLUNG
                   Klasse 1                                             A,  , „soll“

                  MODERAT                                              EMPFEHLUNG
                   Klasse 2                                             B,  , „sollte“
                  SCHWACH/                                          EMPFEHLUNG OFFEN
                SEHR SCHWACH                                           0,  , „ist unklar/
                  Klasse 3, 4, 5                                    kann erwogen werden“






              Kriterien für die Graduierung (Klinisches Werteurteil):                      Abb. 1
                                                                                           modifiziert nach dem
                Konsistenz der Studienergebnisse    Ethische, rechtliche, ökonomische Erwägungen  AWMF-Regelwerk (Arbeits-
                  Klinische Relevanz der Endpunkte (Outcomes)      Patientenpräferenzen    gemeinschaft der
              und Effektstärken                 Anwendbarkeit auf die Patientenzielgruppe, Umsetzbarkeit  Wissenschaftlichen Medizi-
                Nutzen-Schaden-Verhältnis
                                                                                           nischen Fachgesellschaften
                                                                                           e. V.)

                                                                                                             11
   6   7   8   9   10   11   12   13   14   15   16